Die Sonne scheint, das Wetter ist prächtig, AMS testet Winterreifen und zwar mächtig - Okay, der Reim ist nicht so gut gelungen. Aber wer will schon bei diesem herrlichen Sommerwetter an Winterreifen denken? Na klar, unsere Reifentester vom Flaggschiff-Magazin “auto motor und sport” aus dem Motorpresse Verlag in Stuttgart können es gar nicht abwarten ihre Leser an den Reifenwechsel für die kalte Jahreszeit zu erinnern und eröffnen in Heft 20 in der ersten Septemberwoche die Testsaison: “Die besten Winterreifen für E-Autos und große SUV”. Auf dem Prüfstand stehen sieben Winterreifen in der wuchtigen Dimension 255/45 R20 105V XL, die sich an zwei sehr unterschiedlichen Fahrzeugen bewähren müssen: am vollelektrischen Stromer EV6 von KIA und am KIA Sorento mit klassischen Dieselmotor, die beide mit Allradantrieb ausgerüstet sind.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Kia
Warum aber der doppelte Aufwand? “Nun, weil wir sehen wollten, ob und wie sich Unterschiede in der Antriebsform auf das Ergebnis eines Reifentests auswirken”, beschreibt Reifentester Thiemo Fleck das doppelte Ziel dieser Unternehmung, für das die Tester Anfang des Jahres, nämlich Ende Februar, in den skandinavischen Norden nach Finnisch-Lappland gezogen sind. Die Verbindung von Reifentest und Antriebsart scheint eine Besonderheit der AMS zu sein, denn im Grunde setzen die Stuttgarter Tester damit ihren Test aus dem Frühjahr dieses Jahres fort, nur diesmal eben mit Winter- anstatt mit Sommerreifen. Denn im letzten März gab es eine ähnliche Aktion mit den gleichen Autos und der gleichen Dimension, nur eben mit Sommerreifen. Und das Ergebnis, so viel sei verraten, wurde auch diesmal ähnlich gut. Kein Kandidat war richtig mies, wenn als schlechteste Note ein “befriedigend” vergeben werden konnte.
Die Auswahl: Marken und Dimension
Die breite Dimension passt natürlich prima zum Test im Frühjahr und ermöglicht eine Vergleichbarkeit. Aber sind dermaßen breite Walzen auch im Winter bei Matsch und Schnee angebracht oder sollten hier nicht schmalere Exemplare zum Einsatz kommen? Reifentester Thiemo Fleck beantwortet das folgendermaßen: “Bei der Mehrzahl der Anforderungen, die mitteleuropäische Winter an Reifen stellen, sind breite Schlappen dynamisch eindeutig überlegen.” Na dann, so kommt man also auf 255/45 R20.
Allerdings ist dann auch das Angebot nicht ganz so üppig wie bei einer schmaleren Ausführung, noch dazu mit dem Geschwindigkeitsindex V (=240 km/h). Deshalb kamen auch nur sieben Testkandidaten in die Auswahl. Darunter immerhin drei neue Winterprodukte: Der Falken Eurowinter HS 03 Pro, eine Marke des großen japanischen Reifenherstellers Sumitomo, der Goodyear Ultragrip Performance 3 und der neue Pirelli Scorpion Winter 2 Elect können sich hier im ersten Test bewähren und treten gegen den Bridgestone Blizzak LM 005, den Continental TS 870 P, den Michelin Pilot Alpin 5 SUV und den Vredestein Wintrac Pro an - alles bekannte Premiummarken, die einen guten Ruf zu verlieren haben.
Testdisziplinen und Bewertungsschlüssel
Es ist nicht unerheblich für einen Reifentest, welche Ansprüche die Tester selbst an einen funktionierenden Winterreifen stellen. Damit hält die AMS auch nicht hinter dem Berg. Thiemo Fleck erläutert ein wichtiges Bewertungskriterium für den Winterreifentest, das letztlich auch den Siegerreifen bestimmt: Da “Schnee in Mitteleuropa häufig nur als kalter Regen fällt, müssen Winterpneus den nassen Fahrbahnzustand besonders gut beherrschen.” Mit anderen Worten: Die Nässedisziplinen gehen am Schluss in die Gesamtbewertung besonders stark ein, genauer gesagt zu 35 Prozent. Die Schneedisziplinen fallen nur mit 20 Prozent ins Gewicht, sodass ein erstklassiger Schneereifen seine Qualitäten gar nicht voll ins Endergebnis einbringen könnte. Auch die Trockeneigenschaften prägen mit 30 Prozent das Endergebnis deutlich stärker, die Umwelteigenschaften wie Rollwiderstand oder Geräusch gehen mit 15 Prozent in die Bewertung ein. Jeder Reifentest geht in seiner Gesamtwertung nach einem solchen Bewertungsschlüssel vor, der aber auch nicht überall gleich sein muss. Allerdings findet sich die Auflösung meist im Kleingedruckten. Deshalb ist der Leser gut beraten, sich die Einzelergebnisse der Testdisziplinen genau anzusehen und auch daran seine Auswahl zu orientieren. Wer etwa erhöhten Wert auf Schneeperformance legt, für den kann ein anderer Reifen der Testsieger sein. Es sind nicht weniger als 19 Disziplinen, die die Kandidaten durchlaufen müssen. Da scheuen die Prüfer also keinen Aufwand. Handling wird auf allen Untergründen doppelt gewertet, sowohl nach Zeit als auch subjektiv, der Bremsweg bestimmt die Kapitelwertung mit jeweils 40 Prozent am stärksten. Keine Disziplin wird ausgelassen: fünf Tests im Schnee (Seitenführung , Traktion usw.), sechs auf Nässe und im Trockenen. Die Umweltwertung bestimmt der Rollwiderstand zu 70 Prozent, hinzu kommt das Reifengeräusch.
Die Ergebnisse: Bridgestone überragend
Die Auswahl der Tester kennt keine schlechten Reifen. Vier von sieben erhalten die Note “sehr gut”, einer gut und der Falken Eurowinter HS 02 Pro rollt immer noch mit der Note “befriedigend” durchs Ziel. Nicht so gut kommt dabei allerdings, dass das Schlusslicht im Test gleichzeitig auch der teuerste Reifen im Feld ist. Und zwar deutlich: Mit einem ermittelten Preis von 398 Euro liegt der Falken rund hundert Euro über dem Testsieger Bridgestone. Der Bridgestone Blizzak LM 05 überzeugt so sehr, dass die Tester sogar eine neue Schulnote im Bewertungssystem erfinden: das Urteil lautet “überragend”. Das verdankt der Kandidat besonders seinen Nässeeigenschaften: “Auf Nässe … leicht kontrollierbarer Reifen mit überragendem Grip und bestem Aquaplaningschutz.” 9,9 von 10 Punkten kommen so zusammen! Hinzu kommt: “Starkes Trockenbremsen, beste Kurvenfestigkeit, Untersteuertendenz mit starken Reserven.” sowie “Bester Rollwiderstand”. Ein starker Reifen mit kleinem Wermutstropfen allerdings, der auf Schnee leider nur “okay” ist und in diesem Kapitel nur 7,5 von 10 möglichen Punkten erreicht. In diesem Kapitel kommt der zweitplatzierte Goodyear Ultragrip Performance 3 mit 8,9 von 10 Punkten im Schnee deutlich besser weg und kann auf allen Untergründen gleichweg überzeugen. So viel Ausgewogenheit bringt dem Kandidaten die Note “sehr gut” ein: “Sehr breit aufgestellt. Der neue Goodyear ist bei jedem Wetter vorn dabei” lautet der “Quick-Check” im Testbericht. Ein weiteres “sehr gut” erhält der Michelin Pilot Alpin 5 SUV insbesondere auch durch seine überragende Performance auf Schnee: “Sehr gute Traktion, Seitenführung und Bremsleistung auf Schnee.” Der Michelin ist der Schneekönig unter den sieben Probanden, aber auch in den anderen Disziplinen passt die Leistung: “Gute Nasshaftung und Aquaplaningsicherheit. Auf trockener Fahrbahn stabil, präzise, fahrsicher und komfortabel” protokollieren die Tester. Dritter im Bunde der “sehr gut” bewerteten Kandidaten ist der Continental TS 870 P. Er kann mit den besten Rollwiderstandswerten aufwarten, die aber “durch Einschränkungen beim Nassbremsen” erkauft werden. Man kann eben nicht alles haben. Reifenentwickler sprechen hier von einem Zielkonflikt. Fortschritte in einer Disziplin erzeugen Nachteile in einer anderen Disziplin. Im Kapitel Nässe. Und trotzdem reicht es für ein “sehr gut”. Conti zielt mit diesem Reifen besonders auf die Besitzer von E-Autos. Der Pirelli Scorpion Winter 2 Elect komplettiert das Reifenquartett der “sehr gut”-Klasse im Test. Allerdings kommt doch etwas Kritik auf. Neben den sehr guten Werten auf Schnee und im Trockenen fällt der Pirelli auf Nässe etwas ab. “Dem neuen Scorpion fehlt auf Nässe noch ein wenig Biss”, so im Handling etwa oder beim Aquaplaning. Immer noch “gut” bewertet wird auf Platz sechs der Vredestein Wintrac Pro. Seine Vorteile als nebenbei preiswertester Reifen im Test: “Gute Traktion und ordentliche Bremsleistung auf Schnee. Durchweg gute, tadellose Nässeeigenschaften und ausgewogene Trockendynamik”. Der günstige Vredestein beherrscht die Basics, die Tester registrieren nur “leichte Defizite”, etwa “geringer Kurvengrip auf Schnee”, im Kurvenaquaplaning oder beim Geräusch - Dinge mit denen man leben kann. Mit der Note “befriedigend” wird der recht hochpreisige Falken Eurowinter HS 02 Pro Schlusslicht im Test. Immerhin kann der Pneu mit passablen Leistungen auf nassen (“gute Haftung") und trockenem Geläuf aufwarten. “Schnell in trockenen Kurven", loben die Tester. Seine Schwäche liegt im Schnee: “Zu lastwechselempfindlich”, es erfolgt eine Abwertung.
Vergleich E-Auto versus Verbrenner
Aber auch die Beobachtungen im Vergleich der beiden Antriebsarten sind interessant. Die Ergebnisse der Reifentests bei den standardisierten und objektiven Disziplinen wie Bremsen, Traktion oder Seitenführung unterschieden sich nicht. Im subjektiven Testbetrieb etwa bei Handlingfahrten traten wohl doch Unterschiede zutage, etwa weil “der EV6 deutlich anschubkräftiger und spontaner im Leistungseinsatz” ist, hat es der Fahrer öfter mit “Radschlupf” zu tun. Die Erklärung ist leicht und liegt im Drehmomentverlauf eines Elektromotors begründet, der nämlich ohne hohe Drehzahl sofort seine Power abliefert, was letztlich auch Folgen für die Abriebbilanz der Reifen haben muss - wurde aber hier nicht getestet. Auch die Reichweite des Stromers unter den winterlichen Bedingungen Lapplands langte zwar für den erforderlichen Testdurchgang über “neunmal vier Runden im Rallyetempo”, war aber “knapp”, so Thiemo Fleck. Auch an das unterschiedliche Allradkonzept mussten sich die Handlingfahrer erst gewöhnen. Der zweimotorige Allrad des Stromers zeigt sich “inkonsistent”, sodass sich die Testfahrer gerade im Grenzbereich eine “bessere Kontrollierbarkeit” wünschen. Auch das durch die Akkus höhere Gewicht wirkt sich gerade im Grenzbereich “besonders beim Anbremsen und in Kurven negativ” aus. Letztendlich war der leichtere und leistungsschwächere Verbrenner auf diesen Strecken “etwas schneller unterwegs”. Der beste Winterreifen bleibt aber für Stromer und Verbrenner gleich: Der Testsieger von Bridgestone, weil er gleichzeitig auch der spritsparendste ist.
auto motor und sport: Winterreifen-Test in der Dimension 255/45 R20 105V XL
Platz | Modell | Schnee | nass | trocken | Umwelt | Gesamt | Urteil |
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1. | BRIDGESTONE BLIZZAK LM 005
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7,5 | 9,9 | 9,4 | 9,4 | 9,2 | überragend |
2 | GOODYEAR ULTRA GRIP PERFORMANCE 3
|
8,9 | 8,7 | 9,1 | 8,0 | 8,7 | sehr gut |
3. | MICHELIN PILOT ALPIN 5 SUV
|
10,0 | 7,9 | 8,5 | 8,6 | 8,6 | sehr gut |
4. | CONTINENTAL TS 870 P
|
8,1 | 7,4 | 8,4 | 9,7 | 8,2 | sehr gut |
5. | PIRELLI SCORPION WINTER 2 ELECT
|
8,5 | 7,7 | 8,7 | 7,7 | 8,1 | sehr gut |
6. | VREDESTEIN WINTRAC PRO
|
7,6 | 7,9 | 7,8 | 6,7 | 7,6 | gut |
7. | FALKEN EUROWINTER HS02 PRO
|
5,8 | 7,8 | 7,3 | 7,0 | 6,1 | befriedigend |
Gewichtung (Gesamt: 100 %) - Schnee: 20 %, nass: 35 %, trocken: 30 %, Umwelt: 15 %
Fazit
Leistungsmäßig überzeugt das gesamte Testfeld mit allen sieben Reifen, auch wenn der Falken preislich etwas aus dem Rahmen fällt. Bei so vielen guten Noten könnte aber gerade der preisliche Aspekt entscheidend sein.