Reifentests sind aufwändig und teuer, deshalb arbeiten gleich drei Testinstanzen schon seit längerer Zeit zusammen: Die Gesellschaft für Technische Überwachung als Zusammenschluß freiberuflicher Kfz-Sachverständiger und Prüfingenieure (GTÜ), der Auto Club Europa (ACE) sowie der Auto-, Motor und Radfahrerbund Österreichs (ARBÖ) stellen sich der Frage, wie gut Ganzjahresreifen für Kompaktfahrzeuge und kleine SUV sind. Neun Reifenmodelle in der Dimension 205/55 R17 stellt die Testmannschaft dazu auf den Prüfstand.
Nicht nur die genannte Fahrzeugklasse steht hoch in der Käufergunst, auch die Ganzjahresreifen haben einen Lauf: Auf nahezu ein Drittel, genauer gesagt auf 27 Prozent ist Marktexperten zufolge der Anteil Allrounder gewachsen - mit weiterhin zunehmender Tendenz. Und das kommt nicht von ungefähr, denn “tendenziell werden Allwetterreifen immer besser", wissen die Tester. Und Michelin, Continental und Nokian haben am Ende die Nase vorn.
(9 Ganzjahresreifen in der Dimension 205/55 R17 wurden von der GTÜ ausführlich getestet.
Bildquelle: GTÜ)
Die Auswahl: Quer durch den Markt
An manchen Marken kommt kaum ein Tester vorbei, so markieren die bekannten Premiummarken oft den Stand der Technik im Markt, die auch in der Vergangenheit die Qualität der Ganzjahresreifen vorangetrieben haben. Michelin Crossclimate 2, Continental AllSeason Contact, Goodyear Vector 4Seasons Gen. 3 und Bridgestone Weather Control A005 Evo heißen die Kandidaten in dieser auch preislich gehobenen Klasse. Der Nokian Seasonproof, Vredestein Quatrac Pro, Toyo Celsius sowie auch der Cooper Discoverer AllSeason vertreten denn eher das preiswertere Qualitätssegment, wobei der Berlin Tyres AllSeason 1 eher in die Klasse der Budget Reifen fällt. Somit ist aus jeder Preisschiene zumindest ein Kandidat vertreten, was aber mehr über die Erwartung an die Kandidaten und weniger über das Abschneiden im Test etwas aussagt.
Der Test: Winter, Sommer, Nässe, Umwelt
Die Testkriterien bei PKW-Ganzjahresreifen sind besonders umfangreich, weil diese Reifenart den Spagat von guten Sommer- und Wintereigenschaften schaffen muss und deshalb an die Entwickler besonders hohe Anforderungen stellt. Am Ende soll es ein “Alleskönner” sein. Für die Tester pro Reifen bedeutet das doppelte Arbeit. Das subjektive Handling erfolgt auf drei Untergründen: Schnee, Nässe und trockener Asphalt, ebenso wie die Bremsversuche. Traktionsmessungen auf Eis und Schnee sowie Aquaplaningtests ergänzen das rein fahrtechnische Programm. Hinzu kommen noch die Wertungen für Geräusch und Rollwiderstand, letztere als Kriterium für die Wirtschaftlichkeit, was derzeit mehr an Bedeutung gewinnt. Ein Test der Laufleistung fehlt bislang aber noch.
Einen großen Einfluss auf die Ergebnisse hat auch das Testgelände und die beim Test vorherrschenden Temperaturen. Zuweilen sind im ersten Punkt jene Kandidaten des Herstellers im Vorteil, die auf diesem Gelände entwickelt wurden. Im Gegensatz zu einigen anderen Tests lassen die Tester der GTÜ & Co. die Leser darüber nicht im Unklaren: Die Wintereigenschaften erprobte die Crew in der “White Hell” von Nokian, einem Parcour im arktischen Teil Finnlands, der aber so “arktisch” nicht war mit 4 Grad minus. Für unsere Verhältnisse vielleicht passend, denn laut Wetterstatistik bekommen wir immer mildere Winter. Und auch für die Sommereigenschaften ging es zu Nokian, diesmal nach Spanien auf dem neuen Testgelände “Hakko”-Ring bei Tarancón.
Die Ergebnisse: Michelin rollt nach vorn
Für Autofahrer ist es wichtig, sommers wie winters auf gleich gute Eigenschaften bauen zu können, auf Nässe, Schnee und bei Trockenheit. Das ist so wahrscheinlich wie die eierlegende Wollmilchsau in der Landwirtschaft. In allen Disziplinen Höchstleistungen zu bringen ist eine Kunst, die keiner kann, zumindest kein Reifenentwickler. Sehr oft sind Ganzjahresreifen entweder mehr auf Wintereigenschaften ausgelegt oder auf Sommereigenschaften. Dem Ideal am nächsten kommt der Michelin Crossclimate 2. Das Testurteil: “Er zeigte keinerlei gravierende Schwächen und war bei Schnee, Nässe und auf trockener Straße souverän, ausgewogen und gut fahrbar.” So geht der Testsieg an Michelin mit der Bewertung “sehr empfehlenswert”. Dem folgen nicht weniger als vier Kandidaten mit der Bewertung “empfehlenswert”: Der Continental AllSeasonContact sowie der Nokian Seasonproof “liefern in jeder Winterdisziplin ordentliche Ergebnisse”. Im Nassen sammelt der Conti ein paar Pünktchen mehr und liegt deshalb auf dem zweiten Platz vor dem Nokian (der aber Preis-Leistungs-Sieger wird). Der auf dem vierten Platz liegende Goodyear Vector 4Seasons Gen 3 lässt im Schnee einige Punkte liegen und empfiehlt sich mehr im Nassen, hier gleichauf mit dem Conti. Nur wenige Punkte dahinter landet auf Platz fünf der Vredestein Quatrac Pro, fast gleichauf mit dem Goodyear. Auf trockenem Geläuf zeigt sich bis dahin ein einheitliches Bild: “Bei den Trockentests liegen die Testreifen im Großen und Ganzen dichter beieinander".
Unerwartet weit hinten platziert sich der Bridgestone Weather Control A005 Evo. Mit dem 6. Rang von 9 kann die Marke nicht zufrieden sein. Schon gar nicht mit der Bewertung “bedingt empfehlenswert”. Seine Schwäche zeigt sich im Wintertest mit der geringsten Punktzahl von allen. Im Nassen dagegen erhält der Bridgestone die höchste Punktzahl mit dem kürzesten Bremsweg auf Nässe aus 80 km/h. Das reicht aber nicht zu einer besseren Platzierung, weil der Kandidat beim Trockenhandling mehr als die Konkurrenz zum Übersteuern neigt. Über die restlichen drei Kandidaten von Berlin Tires, Cooper und Toyo können die Tester nur wenig Gutes berichten. Im Schnee mangelt es an Seitenhalt, was zu Übersteuern führt. Bei Nässe beklagen die Tester unter anderem “unpräzises Lenkverhalten” und auf trockener Piste “ist ihr Handling auffällig: Sie haben am wenigsten Grip, geraten dadurch mehr ins Rutschen und schneller in ein Unter- oder Übersteuern … Sie sind die Schlusslichter der Kategorie.”
GTÜ Ganzjahresreifen-Test in 205/55 R17
Platz | Modell | Winter | Nass | Trocken | Umwelt | Gesamt |
---|---|---|---|---|---|---|
1. | MICHELIN CROSS CLIMATE 2 Zum Angebot >> |
63 | 59 | 46 | 28 | 196 / Testsieger |
2. | CONTINENTAL ALLSEASON CONTACT Zum Angebot >> |
57 | 60 | 42 | 25 |
184 / empfehlenswert |
3. | NOKIAN SEASONPROOF Zum Angebot >> |
61 | 54 | 42 | 25 |
182 / Preis-Leistungs-Sieger |
4. | GOODYEAR VECTOR 4 SEASONS G3 Zum Angebot >> |
49 | 60 | 42 | 26 | 177 / empfehlenswert |
5. | VREDESTEIN QUATRAC PRO Zum Angebot >> |
46 | 59 | 43 | 25 | 173 / empfehlenswert |
6. | BRIDGESTONE A005 WEATHER CONTROL Zum Angebot >> |
28 | 64 | 44 | 26 |
162 / nur bedingt empfehlenswert |
7. | BERLIN TIRES ALL SEASON 1 Zum Angebot >> |
51 | 45 | 35 | 21 |
152 / nur bedingt empfehlenswert |
8. | COOPER DISCOVERER ALLSEASON Zum Angebot >> |
39 | 54 | 35 | 24 |
152 / nur bedingt empfehlenswert |
9. | TOYO CELSIUS Zum Angebot >> |
50 | 41 | 37 | 21 |
149 / nicht empfehlenswert |
Ganzjahresreifen in Reifengröße 205/55 R17 getestet von der GTÜ September 2022;
Maximale Punkteanzahl je Kategorie: Winter 80, Nass 80, Trocken 60, Umwelt 30.
Fazit: Nicht perfekt, aber gut
Ganzjahresreifen sind immer ein Kompromiss, erklären die Tester. Okay, das wussten wir schon. Kann aber auch nicht anders sein. Den perfekten Ganzjahresreifen gibt es also nicht. “Aber durchaus gute, die für durchschnittliche mitteleuropäische Wetter- und Witterungsverhältnisse geeignet sind.” Dieses Fazit im Testbericht klingt doch schonmal sehr gut. Nochmal Lob für den Testsieger: “Der Michelin Crossclimate 2 hat den Höllenritt über die Teststrecken am besten gemeistert”. Neben dem Bridgestone enttäuscht auch der Toyo vor allem im Nasshandling, deshalb erhielt er ein “nicht empfehlenswert". Die japanische Marke hat da höhere Ambitionen.
Von den Schwächen einzelner Kandidaten abgesehen aber bricht dieser Test erneut eine Lanze für die Kategorie der Ganzjahresreifen, vor allem weil diese Reifenart noch vor einigen Jahren gescholten wurde, weil sie angeblich nichts richtig könne. Das hat sich gründlich geändert. Die Leistung wurde erheblich gesteigert. “Tendenziell werden Allwetterreifen immer besser”, wissen die Tester. Der Trend zu den Ganzjahresreifen erhält damit weiter Auftrieb, weil er den Autofahrern das lästige Radwechseln erspart sowie die Kosten für die saisonale Einlagerung.