Biker haben ein inniges Verhältnis zu ihren Reifen und starten gerne mit frischen Gummis in die neue Saison. Bisher war die Reifenwahl noch einigermaßen einfach: Wenn es eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung (UBB) für das entsprechende Fahrzeug gab, konnten Motorradfahrer auch solche Reifenkombinationen montieren lassen, die nicht in den Fahrzeugpapieren aufgelistet sind. Doch die Zeiten sind nun vorbei. Denn pünktlich zur neuen Saison hat das Verkehrsministerium die Regeln geändert. Abweichungen vom Standard benötigen jetzt den Segen von TÜV und Co. Für den Biker heißt das: Was es vorher kostenlos gab, kostet nun Geld.
Bei der richtigen Reifenwahl haben TÜV und Co. demnächst das letzte Wort.
Im Focus der Neuerung: Umbereifungen
Ein Blick in die Fahrzeugpapiere, unter Ziffer 15 (Bereifung), ist bei neuer Bereifung ratsam. Wer beim Standard bleibt, ist nicht betroffen und kann sich zurücklehnen. Für eine Umbereifung reicht aber eine UBB durch den Reifenhersteller wie bisher nicht mehr aus. Bei abweichender Bauart und/oder Dimension ist nach neuestem Beschluss des Verkehrsministeriums eine kostenpflichtige Begutachtung durch einen der technischen Dienste wie TÜV, Dekra und Co. erforderlich. Dies gilt für Reifen, die seit Beginn des Jahres, also DOT 0120, hergestellt wurden und ab 2025 bei allen Reifen. Erfolgt die Vorführung nicht, setzt es die Höchststrafe: Stilllegung und Erlöschen der Betriebserlaubnis. Zur Wiedererlangung ist dann eine Vorführung und Abnahme bei technischen Diensten sowie eine anschließende Eintragung in die Papiere erforderlich.
Die neue Regelung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat nach ihrer Veröffentlichung im Verkehrsblatt Heft 15/2019 bei Industrie und Handel einigermaßen für Verwirrung und Kritik gesorgt. Die Branchenverbände von Reifenhandel, Reifen- und Motorradherstellern wandten sich zur Klarstellung in einem offenen Brief an das Ministerium. Denn so leicht nachvollziehbar ist die neue Regelung nicht, nach der die UBB keine rechtliche Relevanz mehr haben.
Freigaben auf Basis umfangreicher Tests
Immerhin hat sich die Praxis der Freigaben durch Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Industrie in jahrelanger Anwendung durchaus bewährt. Denn die Reifenhersteller prüfen ihre Neuheiten in umfangreichen Tests auf welchen Motorrädern diese Rad/Reifen-Kombinationen unbedenklich gefahren werden können. Das war ein Verkaufsargument für die Industrie zum Nutzen der Verbraucher, der auf diese Weise von den modernsten Entwicklungen unter anderem auf älteren Fahrzeugen profitieren konnte. So konnte der Umstieg auf eine andere Reifenbauart von Diagonal- oder Bias Belted auf Radialbauart sehr vorteilhaft sein, wenn dafür eine Freigabe vorlag.
Anderes Beispiel: Fahrer sportlicher Maschinen rüsten ihr Fahrzeug gerne von 190/50 ZR17 auf 190/55 ZR17 um, weil diese Dimension das Handling verbessern kann. Das passiert aber nicht ungeprüft, wenn es Freigaben dazu gibt. Da es diese Dimension aber so lange noch nicht gibt, kann sie in den Papieren älterer Sportbikes nicht genannt sein. Diese Art der Umrüstung kann in Zukunft nur noch mit dem Segen und den Gebühren von TÜV und Co. erfolgen.
Industriedokumente bleiben Grundlage
Das Kuriose dabei: Die gesetzliche Neuerung bedeutet nicht etwa, dass die Industrie ihre umfangreichen Testfahrten wegen Zwecklosigkeit einstellen kann. Im Gegenteil: Die Prüforganisationen erstellen ihre Expertise aufgrund der Bescheinigungen durch den Reifenhersteller. Frank Facher, Leiter Trade und Consumer Marketing der Marke Metzeler erklärt dazu: “Die von uns als Reifenhersteller herausgegebenen Dokumente sind nach wie vor eine wichtige Grundlage, um beurteilen zu können, ob ein Reifen auf einem bestimmten Motorradtyp die gewünschte Performance und beste Sicherheit bietet. Bei Umrüstungen, die mit einer anderen Reifendimension einhergehen, fungieren unsere Bescheinigungen nun als Prüfgrundlage für TÜV, Dekra und Co.”
Bei Umrüstungen geht in Zukunft kein Weg an TÜV und Co. vorbei. Der 240/40 VR18 an dieser Harley Davidson Softail FXDR 118 am Hinterrad ist allerdings Serie. Foto: Peter Schmidt
Prüforganisation als letzte Instanz
Die Reifenhersteller werden künftig zwei Arten von Bescheinigungen ausstellen. Zum einen die “Serviceinformation”, die, so erklärt Stephan Rau, Technischer Geschäftsführer beim Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (wdk), dem die Reifenhersteller angehören: “Die Serviceinformation dient als Nachweis, dass eine Bereifungskombination zur Ausrüstung eines Kraftrades geeignet ist, wenn die eingesetzten Rad-/Reifenkombinationen in den Fahrzeugpapieren eingetragen sind.” Was für Umrüster demnächst wichtig ist, ergänzt der Geschäftsführer beim Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) Michael Schwämmlein: Die Herstellerbescheinigung “dokumentiert die Eignung auch im Falle einer abweichenden Rad-/Reifenkombination und kann als Grundlage bei der Vorführung/Abnahme bei der Technischen Überwachungsorganisation dienen, stellt jedoch keine Garantie dar, dass diese auch eingetragen wird.”
Die Prüforganisation, wie sie auch heißen mag, hat also in Zukunft immer das letzte Wort. Denn Voraussetzung ist stets, dass am Fahrzeug selbst keine Veränderungen vorgenommen wurden, die den Bauraum des Reifens betreffen.