Sie kommen so langsam ins Rollen, die reinen Elektroautos, die in der kryptischen Sprache der Techniker BEV-Modelle heißen (Battery Electric Vehicle) oder volkstümlich einfach “Stromer” genannt werden. Ins Rollen kommen damit auch die Reifen, die schon ein bisschen anders sein müssen als herkömmliche Modelle für Verbrennungsmotoren. Lohnt sich denn der Aufwand einer neuen Reifenausführung speziell für e-Autos? Rein zahlenmäßig immer mehr - mit Blick auf die zwar derzeit noch bescheidenen, aber doch steigenden Zulassungen der Stromer. Und auch die brauchen Ersatz
Zulassungen für E-Autos steigen
Die Zulassungszahlen für reine Elektroautos sind ein Politikum, denn sie entsprechen noch lange nicht den politischen Wunschvorstellungen. Wir erinnern uns: Die Kanzlerin sprach einst von einer Million Elektroautos bis 2020 und von 6 Millionen bis 2030. Später - im Jahr 2018 relativierte Angela Merkel ihre Vorstellung dergestalt, das Erreichen des Ziels von einer Million auf 2022 zu verschieben. Von Zielen dieser Art sind wir allerdings noch weit entfernt. Das Kraftfahrtbundesamt zählte am 1. Januar dieses Jahres einen Bestand von 83.175 Elektrofahrzeugen (Vorjahr 53.861). Immerhin: Bis einschließlich November kamen noch einmal 57.500 Stromer hinzu - der bisherige Rekord an Neuzulassungen.
Das Angebot an E-Autos wächst: Kanzlerin Angela Merkel auf der IAA am Stand von VW vor dem ID.3 mit dem
VW Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess. Foto: Peter Schmidt
Käufer warten auf das Förderpaket
Damit hat sich der Bestand an Stromern noch einmal auf die ungeahnte Höhe von aktuell etwa 140.675 Einheiten katapultiert. Den Regierenden, die ja “zügig möglichst viele Elektroautos auf die Straße bringen” wollen - so das Bundespresseamt - reicht das natürlich nicht, entspricht es doch gerade einmal einer 14-prozentigen Erfüllung des Ursprungsziels. So schnürte das Kabinett ein weiteres Förderpaket mit Kaufanreizen, das aber erst am 1.1.2020 in Kraft tritt. Dies hat den Effekt, dass bis dahin eine Kaufzurückhaltung herrscht und erst ab Januar, wenn eine Prämie von 6.000 Euro lockt, ein neuer Schwung in das Geschäft kommen kann.
Anzahl der Modelle wächst
Über ein unzureichendes Angebot an Elektroautos kann sich die Politik nicht mehr beschweren, davon konnte sich Angela Merkel auf der letzten IAA in Frankfurt selbst überzeugen. Den Autoproduzenten folgen die Reifenhersteller, in erster Linie natürlich die Premiummarken wie etwa Continental mit dem Conti.eContact, Michelin mit dem Energy E-V für den Renault Zoe, Bridgestone mit dem Turanza Ecopia EP 500 oder Goodyear, die schon seit 2018 mit dem Eagle F1 Asymmetric 3 SUV dem Audi E-Tron Halt auf der Straße geben. Bei Goodyear heißt das neueste Reifenkonzept für E-Autos “Electric Drive Technology”, die der EfficientGrip Performance in sich trägt, gekennzeichnet durch ein Logo. Was sich dahinter verbirgt, erklärt uns Saburo Miyabe, Chief Engineer bei Goodyear in Deutschland:
Saburo Miyabe präsentierte auf der Tire Cologne den Goodyear Efficient Grip mit der Electric Drive Technology. Foto: Goodyear
Frage: Thema Verschleiß: Können Sie mit der "Electric Drive Technology"den schnelleren Verschleiß herkömmlicher Reifen durch den E-Antrieb bei gleichzeitig verminderten Rollwiderstand völlig ausgleichen?
Saburo Miyabe: Tatsächlich stellen E-Mobile besondere Anforderungen an den Reifen. Unsere Tests haben gezeigt: Herkömmliche Pkw-Reifen können an Elektroautos um bis zu 25 Prozent schneller verschleißen. Grund hierfür ist das kraftvolle und direkte Drehmoment von Elektromotoren und das höhere Gewicht des Fahrzeugs durch den Akku.
Vor diesem Hintergrund haben wir das Laufflächendesign des Efficient Grip Performance mit Electric Drive Technologie so gestaltet, dass es für eine bessere Laufleistung sorgt. Die schmalen Lamellen in der Lauffläche sorgen dafür, dass mehr Gummi in Kontakt mit der Straße kommt als es mit herkömmlichen Querrillen der Fall ist. Dadurch werden die höheren Drehmomente besser ausgeglichen und die guten Eigenschaften auf nasser Fahrbahn beibehalten. Das Profildesign verhindert zudem, dass Schallwellen in den Rillen entstehen. Dadurch werden Reifengeräusche im Innen- und Außenbereich verringert.
Dies trägt im Übrigen dem Wunsch nach Ruhe und Komfort Rechnung. Denn bei geringer Geschwindigkeit sind Elektrofahrzeuge wesentlich leiser unterwegs als Autos mit Verbrennungsmotor.
Ein weiteres Leistungsmerkmal des neuen Reifens ist seine hohe Tragfähigkeit. Denn Elektroautos sind durch das Gewicht der Akkus schwerer als herkömmliche Pkw. Deshalb haben wir die Reifenhüllkurve verbessert, um die Aufstandsfläche trotz des erhöhten Gewichts optimal zu halten. Der Reifen behält dabei seine gute Performance.
Last but not least: Wir haben die Materialeigenschaften der Laufflächenmischung so optimiert, dass der Reifen einen extrem niedrigen Rollwiderstand hat. Damit wird die Reichweite des Fahrzeugs größer. Da in den meisten Ländern die Auflade-Infrastruktur nach wie vor unterentwickelt ist, ist das für Autofahrer besonders wichtig.
Frage: Wie wirken sich die Maßnahmen auf die Nässeanforderungen an die Reifen aus? Beispielsweise in Bezug auf Bremsen, Handling und Aquaplaning
Saburo Miyabe: Für die Entwicklung eines neuen Reifens werden alle Leistungsaspekte berücksichtigt, sowohl die Wirtschaftlichkeit als auch Grip auf trockener und nasser Fahrbahn. Die hohe Kunst der Reifenentwicklung besteht darin, alle Eigenschaften im Gleichgewicht zu halten.
Der herkömmliche Goodyear EfficientGrip Compact in der Dimension 165/65R15 81T am VW e-up auf der IAA 2019. Die Ausführung mit “Electric Drive Technology” kommt am ID.3 zum Zuge.
Frage: Wie und aus welchem Grund ändern sich die Dimensionen im Vergleich zu herkömmlichen Reifen?
Saburo Miyabe: Die Hersteller bringen verschiedene Fahrzeugkonzepte auf den Markt: Der BMW i3 sieht von Haus aus einen Reifen mit einem größeren Durchmesser vor („tall & narrow“). Auch unser EfficientGrip Performance mit Electric Drive Technologie hat einen größeren Durchmesser. Er ist im Übrigen aus der Zusammenarbeit mit einem Automobil-Hersteller heraus entstanden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Fahrzeuge wie den e-Golf. Hier ist ein bewährtes Fahrzeugkonzept mit einem alternativen Antriebssystem entwickelt worden. Kurzum: Es gibt in der Welt der E-Mobile nicht nur ein Reifenkonzept. Unser Anspruch ist es natürlich, für jedes Fahrzeug den passenden Pneu zu bieten.
Frage: Das Angebot an E-Autos wächst, obwohl die Käufer sich noch zurückhalten. Wie befriedigen sie den Ersatzbedarf?
Saburo Miyabe: Ein Großteil der Reifen, die wir für unsere OE-Kunden entwickeln, trägt eine individuelle OE-Kennzeichnung. Verbraucher können im Ersatzmarkt die gleichen Pneus noch einmal kaufen – mit eben dieser OE-Kennzeichnung und unserem Electric-Drive-Logo.
VW ID3 auf der MotorShow in Essen auf Goodyear EfficientGrip mit der “Electric Drive Technologie”. Mitte 2020 soll der ID.3 kommen.
Frage: Planen Sie auch reine Ersatzmarktreifen oder nur für die Erstausrüstung?
Saburo Miyabe: Wir entwickeln Reifen für den Einsatz an E-Mobilen in Zusammenarbeit mit unseren OE-Kunden.
Frage: Welche Reifenarten sind in Planung hinsichtlich der saisonalen Anforderung? Sommer, Winter, Ganzjahresreifen?
Maßgeblich sind die Anforderungen unserer OE-Kunden – hierunter fallen alle Saisonalitäten und alle Einsätze, On-Road und Off-Road.